Kategorien
Gedanken

Der Megatrend Mindfulness: Wollen immer mehr Menschen achtsam leben und wenn ja, warum?

In den letzten Monaten habe ich zwei Projekte unterstützt, die mehr Achtsamkeit in die Welt bringen möchten: Ein guter Plan, ein Terminkalender mit Achtsamkeitstraining und Einfach Liebe, ein Paar, dass entspannte Sexualität in den Alltag von mehr Deutschen integriert und dabei auch stark auf Körperwahrnehmung und Achtsamkeit setzt. Beide Projekte verbindet, dass sie einen Nerv treffen. Sie haben es, jedenfalls nach meinem Empfinden, deutlich leichter als andere, in unserer täglichen Informationsflut mit ihren Botschaften durchzudringen.

Ein Grund mag sein, dass sowohl hinter Ein guter Plan als auch hinter Einfach Liebe spannende Menschen mit ihrem ganz besonderen Erfahrungsschatz stecken. Die Lebensgeschichte erklärt das Angebot. Aber das ist bei anderen Projekten auch so und trotzdem müssen sie um jedes Fitzelchen Aufmerksamkeit viel härter kämpfen.

Meine Vermutung ist, dass zur Zeit Angebote, die sich mit Achtsamkeit beschäftigen, offene Türen einrennen. Daten von Apple und Google bestätigen einen Trend hin zu mehr Achtsamkeit:

Apple kürt jedes Jahr einen App-Trend des Jahres und 2018 war es: Self-Care – Apps rund um Achtsamkeit. Mit Google Trends lässt sich das Suchvolumen und damit ja indirekt auch das Interesse von Themen seit 2004 bis heute nachverfolgen.

Screenshot: Suchvolumen zu Achtsamkeit in Deutschland
Screenshot: Suchvolumen zu Achtsamkeit in Deutschland
Screenshot: Suchvolumen zu Mindfulness in den USA
Screenshot: Suchvolumen zu Mindfulness in den USA

Für mich ist das eindeutig: Das Interesse an Achtsamkeit nimmt seit Jahren relativ konstant zu. Doch bevor ich meine Gedanken abtippe, warum das so ist, schreibe ich erst einmal auf, was Achtsamkeit eigentlich genau ist:

Achtsamkeit ist von Augenblick zu Augenblick gegenwärtiges, nicht urteilendes Gewahrsein, kultiviert dadurch, dass wir aufmerksam sind.

Jon Kabat-Zinn

Jon Kabat-Zinn, ursprünglich Molekularbiologe, hat die Achtsamkeitspraxis in der westlichen Gesellschaft bekannter gemacht. Doch er ist schon ein paar Jahrzehnte auf diesem Thema unterwegs und warum wird Achtsamkeit gerade jetzt zum Trend?

Drei Erklärungsansätze habe ich:

Das Smartphone schafft ein Problem, für das Achtsamkeit die Lösung ist

Unser Medienkonsum steigt seit Jahrzehnten. Was wir uns an Arbeitszeit eingespart haben, nutzen wir dazu, um vor Medieninhalten wegzudämmern. Angeblich sind wir inzwischen bei 585 Minuten am Tag angelangt. Das sind knapp 10 Stunden.

Das Smartphone hat daran einen großen Anteil. Auf dem Klo, in der Warteschlange, in der U-Bahn, überall, wo wir auch nur kurz Gefahr laufen, uns selbst ausgesetzt zu sein, rettet uns das Smartphone mit dem richtigen Häppchen an Ablenkung: Facebook, Instagram, Twitter und auch Spiegel Online kann man auch nur kurz drei Sekunden checken. Ein Buch vier Sekunden aufschlagen oder in einen Film drei Sekunden reingucken, das macht keiner. Dank Smartphone können wir uns jetzt auch noch in den kleinsten Pausen berieseln lasssen. Es ist ein richtiges Aufmerksamkeitssauger.

Medienkonsum ist nach meinem Verständnis das Gegenteil von Achtsamkeit. Ich bin nicht im Hier und Jetzt, sondern in einer Geschichte – wahr oder erfunden. Deswegen nimmt unser „nicht urteilendes, gegenwärtiges Gewahrsam“ ab. Wenn ich früher spazieren gegangen bin, habe ich an nichts gedacht und war einfach so achtsam, ohne konkreten Vorsatz. Heute höre ich dann oft einen Podcast und bin damit wieder in einer Geschichte, die nicht meine eigene ist.

Wenn wir immer öfter in fremden Geschichten und seltener im Hier und Jetzt sind, geht uns etwas verloren und wir werden unzufrieden. Wir spüren uns dann selbst nicht mehr. Das ist jedenfalls meine Vermutung.

Achtsamkeit ist dann das Gegenmittel, wieder bewusst in der eigene Geschichte unterwegs zu sein und sich selbst zu spüren. Und da das Smartphone tendenziell immer mehr Einsatzmöglichkeiten und damit Ablenkung bietet, wird auch die Nachfrage nach Achtsamkeit weiter steigen.

Apps bieten einen leichten Einstieg in Meditation und Achtsamkeit

Nachdem das Smartphone erst für die Nachfrage nach Achtsamkeit gesorgt hat, hat es auch das Angebot stark erweitert und vor allem vereinfacht. Hätte ich mich vor zwanzig Jahren für Achtsamkeit interessiert, hätte ich in Buchladen gehen und mir dort ein Buch bestellen müssen. Heute ist es eine Suche im App Store, wo tausende hochwertiger Apps auf mich warten, App Trend des Jahres 2018 sei Dank.

Apps sind auch deutlich einfacher zugänglich. Meine erste ernsthafte Berührung mit Achtsamkeit ermöglichte die App Buddhify. Dort wählt man die eigene Stimmung aus und los geht eine geführte Meditation.

Auswahl der Meditation auf buddhify / Copyright buddhify

Dagegen ist doch jedes Buch sperrig und anstrengend. Also steigt durch Apps die Zielgruppe an Leuten, für die Meditation und Achtsamkeit interessant ist, weil der Einstieg so viel leichter ist.

Über Apps lässt sich gutes Geld mit Achtsamkeit verdienen

buddhify ist unter den Meditations- und Achtsamkeitsapps ein kleiner Fisch. Die großen Namen in diesem Bereich sind Headspace und Calm. In Headspace ist laut Crunchbase mehr als $ 75 Mio an Risikokapital geflossen, während in Calm Investoren sogar $ 115 Mio gesteckt haben. Dazu kommen kleinere Projekte wie 10% Happier, das auch mit mehr als $ 5 Mio finanziert wird. Geld wettet also darauf, dass sich mit Achtsamkeit und Meditation eine lohnenswerte Rendite verdienen lässt.

Diese Apps haben gemeinsam, dass sie auf ein Abo-Modell setzen. Ein Jahreszugang kostet meist zwischen 60 € und 100 €. Wenn Kunde ein paar Jährchen dabei bleibt, klingelt die Kasse ordentlich. Kein Vergleich zu einem einmaligen Verkauf eines Buchs oder auch einer Meditations-DVD. Dazu kommt, dass eine App kaum variable Kosten hat. Das heißt: Nach Programmierung der App und Erstellung des Contents, steigen die Kosten für Headspace nur unwesentlich, wenn sie statt 13 Nutzern auf einmal 13 Millionen Nutzer haben.

Wenn ein Kunde mehr Geld für einen Service zahlt, kann das Unternehmen auch mehr Geld für das Marketing ausgeben. Vor allem Headspace und Calm tun das auch. Von beiden Apps habe ich in den letzten Monaten des öfteren Werbung auf Instagram und Facebook gesehen. Und die Anzeigen dieser Apps machen immer auch Werbung für Achtsamkeit und Meditation, wie man an diesem Screenshot einer Headspace-Anzeige sieht:

Headspace Werbung Screenshot
Headspace Anzeige auf Facebook, Screenshot vom 17.02.2019

Über das Werbe-Budget der großen App-Firmen kommen also mehr und mehr Menschen mit Achtsamkeit und Meditation in Berührung.

Fazit

Um die Frage der Überschrift hier am Ende kompakt zu beantworten: Ja, es wollen immer mehr Menschen achtsam leben und die drei Gründe, auf die ich gekommen bin, haben alle mit dem Smartphone zu tun.

Findest du die Erklärung überzeugend? Sind dir andere Gründe für den Trend zu Mindfulness in den Sinn gekommen? Oder meinst du, dass eigentlich gar nicht mehr Menschen als früher achtsam leben wollen?

3 Antworten auf „Der Megatrend Mindfulness: Wollen immer mehr Menschen achtsam leben und wenn ja, warum?“

Danke Marcus für den Hinweis, dass die Graphen so ohne Erklärung wenig Überzeugungskraft besitzen, weil ja vielleicht durch das Wachstum von Google alle Suchbegriffe über den Zeitverlauf steigen könnten.

Darum die Anmerkung: Die Werte sind laut Google normiert, immer relativ zum höchsten Wert dieses Suchbegriffs. Also steigen nicht alle Suchbegriffe nur an. Ein Beispiel ist München, ein ewiges Trend-Thema: https://trends.google.de/trends/explore?date=all&geo=DE&q=M%C3%BCnchen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert