Abenteuer Angestellter: Was ich in den ersten fünf Monaten gelernt habe

Ich habe mich immer als unabhängigen Geist gesehen, zu dem die berufliche Selbstständigkeit perfekt passt. Der leicht größenwahnsinnige Titel „Atlas der Selbstständigkeit“ meines eingestampften Web-Projekts aus dem Jahr 2020 drückt diese Überzeugung gut aus.
Doch nach acht Jahren in der Digitalwirtschaft wollte ich mal eine längere Pause einlegen und überlegen, was ich noch so in meinem Erwerbsleben sehen möchte. Die Elternzeit für Kind Nummer 2 hat das auch entspannt ermöglicht.
Als dann eine Ausschreibung für einen „wissenschaftlichen Mitarbeiter für Digitalpolitik“ in meinem LinkedIn-Feed vorbeiflog, habe ich mich kurzentschlossen beworben.
Seit dem 1. September darf ich jetzt schon Benni Adjei bei seiner parlamentarischen Arbeit im Landtag unterstützen. Gefühlt ist das mein erster Angestellten-Job.
(Bisher war ich bei meiner eigenen Firma Blogbox angestellt und bei piqd, wo ich sehr geschmeidig als Freelancer in einem Angestelltenverhältnis gelandet bin und es insgesamt ein sehr untypisches und verrückt-freundliches Arbeiten war.)
Nach meinen ersten fünf Monaten als richtiger Angestellter trage ich hier mal zusammen, was ich am Angestellten-Dasein bisher bemerkenswert finde:
1. Flexibles Arbeiten ist nicht mehr das Privileg von Selbstständigen
Dass Corona auch im Berufsleben einiges verändert hat, ist jetzt keine neue Erkenntnis. So hat sich wohl auch der Unterschied bei der Arbeitsplatzwahl zwischen Selbstständigen und Angestellten weitestgehend eingeebnet.
Wobei sich in den letzten Jahren meine Wertschätzung des im Büro-Arbeitens genauso gedreht hat wie die Präsenzkultur in deutschen Unternehmen. Mit zwei Kindern daheim weiß ich inzwischen die Ruhe und Aufgeräumtheit eines Büros zu schätzen und freue mich, wenn die Corona-Lage erlaubt, dort einzukehren.
Aber die Möglichkeit, nach Bedarf flexibel von daheim arbeiten zu können, erlaubt es mir auch als Angestellter, die Ansprüche von Beruf und Familie besser unter einen Hut zu bringen.
2. Es ist schön, Teil eines Teams zu sein
Wir Menschen sind halt soziale Tiere. Und als Solo-Selbstständiger hat mir ein Team gefehlt. Ich war zwar in Projekten in sehr netten Teams eingebunden, aber dort habe ich mich nie als komplett zugehörig gefühlt.
Da empfinde ich es einfach als Wohltat, umstandslos Teil eines Teams zu sein: Bei der Weihnachtsfeier dabei zu sein, bei Team-Klausuren dabei zu sein, einfach Aufgaben zu übernehmen, ohne in einem zumindest inneren Konflikt zu sein, ob diese Tätigkeit bei meinem Stundensatz ok ist, bei Krankheit meine Aufgaben einfach weiterreichen können….
3. Die größere Bequemlichkeit eines Angestelltenverhältnisses ist real
Als Zivi habe ich in Nicaragua mit zwei anderen Männern in einer kleinen Wellblechhütte gehaust. Als Gründer von Blogbox konnten wir uns nicht immer sofort ein Gehalt auszahlen. Ich habe bisher Komfort und Sicherheit nicht unbedingt als unabdingbar für jede Lebensqualität gesehen.
Trotzdem empfinde ich die Bequemlichkeit als Angestellter als sehr angenehm:
- Dadurch dass monatlich eine fixe Summe ganz unangestrengt und routiniert auf dem Konto landet, wird Geld weniger wichtig. Das Gehalt ist entkoppelt von der eigenen Anstrengung. Gefühlt fließt auch weniger ab, weil das Geld für die ganzen Steuern und Sozialversicherungen gar nicht erst bei mir ankommt.
- Wenn ich ausfalle, falls ich aus. Die dringenden Aufgaben übernimmt wer anders und die anderen Aufgaben mache ich halt dann später weiter. Gerade aktuell empfinde ich das als sehr praktisch, weil in einer globalen Pandemie mit zwei kleinen Kindern doch öfters mal was ist als früher.
- Ich empfinde weniger Druck, konstant greifbaren Output zu erzeugen. Als Selbstständiger hatte ich immer das Gefühl, dass ich dem Geld, das ich an diesem Tag koste, irgendwas Sichtbares entgegenstellen muss. Jetzt finde ich es völlig in Ordnung, für mich selbst zu recherchieren, und die Ergebnisse der Recherche in zwei Wochen zu verwenden. Oder sie auch mal nicht zu verwenden.
4. Als Selbstständiger habe ich mehr Freiheit
Auch wenn meine Stelle mir wirklich viele Freiheiten erlaubt, sind es doch Freiheiten, die sich – total sinnigerweise – innerhalb dieser Stelle bewegen.
Der Charme des Selbstständigen-Daseins ist für mich auch, völlig verschiedene Stellen auszuprobieren und so mehr über sich und die Welt zu erfahren als es die gleiche Tätigkeit vermag.
Natürlich ist das ein Idealbild der Selbstständigkeit, das jeder Personal Branding-/Positionierungscoach als naiv, weltfremd und sicheres Rezept zum Scheitern ansieht. Deren Predigt lässt sich ja oft als eine blumige Version von „Du bist erfolgreich, wenn du immer das gleiche für die immer gleichen Kunden machst“ zusammendampfen. Und sie haben zweifelsfrei damit recht, dass es leichter wird, wenn man für eine Tätigkeit bekannt ist und genau dafür auch angefragt wird.
Trotzdem würde ich behaupten, dass der Experimentierraum für Selbstständige größer ist. Auch, weil man niemanden um Erlaubnis fragen kann, sondern einfach loslegen kann.
Mein Plan für die nächsten eineinhalb Jahre: In der Selbstständigkeit experimentieren
Nachdem die letzten Monate meine Selbstständigkeit fast komplett geruht ist, möchte ich langsam wieder anfangen. Für Benni arbeite ich 20 Stunden pro Woche. Da sollte gelegentlich die ein oder andere Stunde für andere Projekte möglich sein.
Meine Anstellung endet bei der nächsten Landtagswahl. Bis dahin möchte ich die Sicherheit als Angestellter nutzen, um in meiner Selbstständigkeit mehr Experimentierfreude reinzubringen. Als Startpunkte habe ich mir überlegt:
- Wieder eigenes Unternehmertum und eigene Projekte angehen.
- Neue Dinge lernen.
- An der Schnittstelle zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung präsent sein.
- Generalistisch für andere Unternehmen arbeiten, sei es im Digitalmarketing/vertrieb oder auch als Sparringspartner für die Digitalisierung eines Geschäftsbereich oder ein neues Digitalprojekt.
Falls dir, werte Leser:in, bei irgendeinem dieser Punkte eine Idee kommt, wie wir zusammenpassen könnten, melde dich gerne bei mir.