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Marketing Nachhaltigkeit

The Ethical Move: Der Mensch ist wichtiger als der Verkauf.

The Ethical Move möchte verändern, wie verkauft wird.

Das klingt für manche auf den ersten Blick nach einem nischigen Thema. Aber eigentlich geht es da angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise um das große Ganze. In den Worten von The Ethical Move:

The world is shaped by how we buy and sell: we are trapped in an endless loop of wanting and buying more.

Für mich ist das natürlich hochinteressant. Erstens bin ich selbst im Online Marketing unterwegs und damit Teil der Verkaufsindustrie. Zweitens bin ich überzeugt, dasss wir uns mit dem angesprochenen Zirkel des mehr Wollens und mehr Kaufens freiwillig mit unserem Wohlstand zumüllen. Das macht uns selbst unglücklich und zündet den Planeten an. (Doku-Tipp an dieser Stelle: Was man im Leben wirklich braucht)

Da trifft sich gut, dass ich über gute-seiten.org Sabine Harnau kennengelernt habe. Sabine ist eine von sechs Frauen hinter The Ethical Move. Außerdem hat Sabine From Scratch gegründet, eine Agentur für öko-soziale Copy, Texte & Kampagnen.

Portrait von Sabine Harnau, engagiert sich bei The Ethical Move

Ich habe Sabine ausgefragt, um mehr über The Ethical Move zu erfahren.

Was The Ethical Move ist

Was ist The Ethical Move?

The Ethical Move ist eine soziale Bewegung in ihren Anfängen. Wir haben uns als Ziel gesetzt, global zu verändern, wie wir Marketing und Vertrieb machen. Und wir richten uns an alle, die damit zu tun haben, sowohl Selbstständige als auch Leute, die in größeren Firmen im Marketing oder im Vertrieb arbeiten.

Wie bist du zum Ethical Move gekommen?

Gestartet hat die Bewegung Alice Karolina. Ich bin 2018 dazu gekommen. Da war alles noch sehr frisch. 

In einer Facebook-Gruppe hat ein Gruppenmitglied gepostet, dass sie einen Pledge vom Ethical Move gemacht hatte. Und zwar, dass sie in Zukunft keine Charm Prices mehr verwendet.

Bei einem Charm Price kostet etwas nicht 400 Euro, sondern 399 oder 395 Euro. Wir als Konsumierende sehen vor allem die linke Zahl und halten das deswegen unbewusst für einen niedrigeren Preis, als er tatsächlich ist. Das war der erste Pledge damals: Diese Art von Manipulation machen wir nicht mehr mit, und wir unterschreiben mit unserem Namen und unserer E-Mail-Adresse, dass wir das einhalten werden.

Ich fand das interessant und radikal, denn als Copywriterin kenne ich natürlich eine ganze Menge Manipulationstechniken. Die werden auch in der Branche gefeiert.

Und dann jemanden zu sehen, die sich hinstellt und sagt „Nein, das finde ich nicht gut, und hier ist der Grund, warum ich das nicht mehr gut finde“, hat mich inspiriert. Da wollte ich dabei sein.

Ich wusste auch damals schon: Es wird wahrscheinlich Reibungspunkte geben. Alleine, weil das so radikal anders ist — und auch alle Mitmachenden aus so unterschiedlichen Richtungen kommen.

Aber genau dafür wurde auch The Ethical Move gegründet, der klar sagt: „We are here for the conversation.“ Wir sind dafür da, dass die Diskussion stattfindet und wir den Diskurs anregen. Wir sagen nicht, wir haben die eine Lösung.

Denn ganz ehrlich, wenn wir global denken, dann ist die Lösung für jemanden wie Dimitra aus Singapur anders als für mich in Amsterdam, für Alice in Kanada oder für Maria in Schweden. Einfach, weil die Umstände und die gesellschaften Normen jeweils anders sind.

Ein Beispiel: Für Marketing mit langem Atem kann man sich einfacher aus einer priviligierten Position heraus entscheiden. Wenn es ein Jahr dauert, bis sich die Person entscheidet, muss ich etwas haben, was mich den Zeitraum bis dahin finanziell trägt.

The Ethical Move ist radikal

Was ich am Ethical Move besonders spannend finde, ist seine Radikalität. In eurem letzten Blogpost habe ich die volle Breitseite gegen Consumerism und Kapitalismus gelesen.

Darauf bin ich stolz. Mir hat mal jemand bei einem Treffen hier in Amsterdam gesagt, sie hätte noch nie einen so „lefty Copywriter“ getroffen.

Ich glaube tatsächlich, dass dies gerade nicht so verbreitet ist im Marketing. Aber von den Größen, gerade in den 1950er- und 60er-Jahren, waren einige anti-kapitalistisch drauf. Drayton Bird z. B., der seine Agentur später an Ogilvy verkaufte, erzählt auf LinkedIn, wie er dazu kam, Socialist Monthly zu lesen.

Ich glaube, es ist sogar relativ üblich, dass Leute, die es wirklich weit gebracht haben und tief nachgedacht haben, eigentlich systemkritisch waren. Nur sprechen wir zu wenig drüber. Das wollen wir auch mit The Ethical Move ändern.

Unser Team ist anti-kapitalistisch. Wir sind alle intersektionale Feminist:innen. Wir geben uns Mühe, als Team so divers wie möglich zu sein. Wir haben auch die ähnliche Ansicht, dass Consumerism das Problem ist, wenn es um den Klimawandel und soziale Spaltung geht.

Ist es dann aber nicht eigentlich am besten, gar nichts zu verkaufen und jegliche Werbung einzustellen?

Ich halte es für unrealistisch, dass wir gar nichts mehr verkaufen. Wir können nicht alle Selbstversorger:innen werden.

Selbst wenn wir das machen wollen, sind wir zu sehr gewöhnt in einer Welt zu leben, in der wir digital miteinander verbunden sind. Also brauchen wir zumindest Strom, Internet und digitale Geräte (lacht). Die müssen ja irgendwie hergestellt werden. Als Konsumierende muss ich wissen, dass die existieren und wo ich die bekommen kann.

Es geht meiner Meinung auch nicht darum, dass ich keine Waren oder Leistungen mehr anbieten und einen Überschuss erwirtschaften kann, der es mir erlaubt zu leben. Das gab es ja schon immer. Aus meiner Sicht müssen wir Kapitalismus und Geschäftsleben voneinander trennen.
Menschen haben schon sehr lange Handel miteinander getrieben. Das heißt nicht, dass die schon immer kapitalistisch orientiert waren. Leute haben vor der Industrialisierung in der Regel weniger gearbeitet — oft nur so viel, wie sie mussten, um sich und ihre Familie zu ernähren.

Es gab vielleicht auch Werbung und irgendwie wurde ein Schild hingestellt: „Hier geht es zum Markt.“ Es wurde sogar mal in Theben eine Anzeige gefunden, auf einer halb verrotteten Schriftrolle.

Aber deswegen war das nicht kapitalistisch. Der Unterschied besteht ja darin: Beute ich andere Leute aus, oder beute ich sie nicht aus?

Das ist für mich das Kennzeichen von Kapitalismus: Kapital regiert und der Mensch ist weniger wert als das Geld. Das ist scheiße. Dagegen wollen wir was tun.

Da will ich jetzt gar nicht unbedingt dagegen reden, nur anmerken, dass wir Menschen es auch ohne Kapitalismus geschafft haben, uns gegenseitig auszubeuten. Ein Beispiel: Sklaverei.

Das stimmt natürlich.

Ich will sagen, dass es Alternativen zu unserer jetzigen Form des Wirtschaftens gibt. Meistens wird das sofort als Kommunismus mit den Negativbeispielen China, Sowjetunion, DDR, oder Kuba verworfen.

Vielleicht gibt es ja noch ganz andere Möglichkeiten. Wir müssen uns zutrauen, kreativ zu sein und uns fragen, wie es denn aussehen würde, wenn wir alle weiterhin Gewerbe treiben — aber eben dabei den Menschen als vollwertiges Wesen respektieren und nicht objektifizieren. Den Menschen nicht in eine Rolle als entweder ausgebeutete Mitarbeiter:innen oder als Konsumierende drängen. Das sind ja die einzigen zwei Rollen, die im Kapitalismus existieren.

Auf was es wirklich ankommt

Aber wir leben ja im Kapitalismus und es ist nicht so einfach sich aus Systemzwängen zu befreien. Als Freelancer verzichte ich bei meinem Stundensatz sowieso auf Charm Pricing, weil da oft der Preis auch nicht so entscheidend ist.

Aber wenn man jetzt einen Onlineshop hat und da die Produkte auf einmal nicht 49, sondern 50 Euro kosten, ist es – glaube ich – schon ein Unterschied in der Conversion. Wenn dann dieser Onlineshop nicht überlebt, weil alle anderen 49 Euro draufschreiben, und die Leute deswegen dort kaufen, ist es doch schade und ärgerlich.

Dein Beispiel basiert auf vielen Annahmen. Zu vielen dieser sogenannten Best Practices im Marketing haben wir Studien gelesen, oder wir haben über Hörensagen davon erfahren. Ich möchte gerne sehen, welcher Prozentsatz es für seinen eigenen Fall mit echten Menschen testet. Wie groß ist der Unterschied zwischen 50 und 49 Euro tatsächlich?

Um dir ein Beispiel zu nennen: Wenn ich hier in den Niederlanden irgendwo einkaufen gehe, sagen die Leute an der Kasse tatsächlich die runde Zahl. Wenn irgendwas eigentlich 9,90 Euro kostet, dann sagen die zu mir „zehn Euro“.

Das ist mir am Anfang total aufgefallen und ich wusste nicht: „Ok, kriege ich jetzt die zehn Cent zurück?“

In Wirklichkeit geht es darum aber auch nicht. Über das Charm Pricing zu diskutieren, ist eigentlich nicht zielführend. Das war zwar der erste Pledge, aber ich halte es eher für ein Signal, als für das, was wirklich tragend ist.

Was ist dann wirklich tragend?

Im Moment ist unsere Hauptüberlegung, dass wir Jahre damit verbringen können, Taktiken aufzulisten, aber das wird uns nicht weiterbringen. Am Ende wäre es dann so, dass du ein 50-Seiten-Dokument unterschreiben müsstest… und schon wieder vergessen hättest, was jetzt eigentlich Pledge Nummer sieben war.

Eigentlich geht es ja nicht darum, dass wir einen Kriterienkatalog haben, der so engmaschig ist, dass er alles im Marketing reguliert. Sondern es geht uns darum, eine ehrliche Haltung durch Beispiele lebendig werden zu lassen.

Darum ist unser oberstes Gebot: Der Mensch ist wichtiger als der Verkauf.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Sabine!

Ich fand Sabine sehr überzeugend und habe mich entschieden, auch den Pledge von The Ethical Move zu zeichnen.

This badge represents my pledge to the ethical move in service of a new marketing standard based on transparency, trust, and honesty. Please connect with me if you see me not honouring my pledge.

Wer darüber hinaus The Ethical Move unterstützen möchte, kann sich gerne bei Sabine melden. Gerade suchen sie nach Möglichkeiten, das Gespräch zum ethischen Verkaufen nach außen zu öffnen und basteln an einer Community. Jedes Feedback dazu hilft, zum Beispiel, was daran interessiert oder welche anderen Communities toll sind.

2 Antworten auf „The Ethical Move: Der Mensch ist wichtiger als der Verkauf.“

Hallo Katharina,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Konkrete Beispiele liefern aus meiner Sicht:
– Marketing für the ethical move selbst: https://www.theethicalmove.org/
– Die Agentur von der Interviewten Sabine Harnau:
https://from-scratch.net/de/

Außerdem findest du hier eine Übersicht über alle, die bisher den ethical move unterzeichnet haben: https://www.theethicalmove.org/pledgees/

Die sollten alle ein gutes Beispiel sein. Gerade bin ich der neueste Unterzeichner und ganz oben 🙂

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